Organisatorenbeitrag: Informatik und die Humanities

Prof. Dr. Andreas Henrich, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Medieninformatik

 

Informatik und die Humanities

 

Ich habe im Titel ganz bewusst das „Digital“ der so genannten „Digital Humanities“ weggelassen. Dazu werde ich im Folgenden eine pointierte Position beziehen. Natürlich gibt es viele Graustufen, aber manchmal ist es auch sinnvoll eine Position bei aller Angreifbarkeit in schwarz-weiß zu zeichnen

Insgesamt sind aus meiner Sicht drei Fragen miteinander verbunden:

Werden die Humanities zu Digital Humanities?

Der Gegenstand und die Fragen der Geisteswissenschaften bilden hier das Zentrum. Ob diese mit digitalen oder analogen Methoden angegangen werden, ist dabei (zumindest auf lange Sicht) nicht zentral. Genauso wie in anderen Disziplinen (Ingenieurswissenschaften, Biologie, BWL …) werden digitale Methoden langfristig zum selbstverständlichen Repertoire des Geisteswissenschaftlers gehören. Der eine wird sie öfter nutzen als der andere, aber die Hervorhebung des „Digital“ mag in einer kurzen Phase der Erweiterung der Möglichkeiten sinnvoll sein, langfristig sehe ich dies aber nicht. Hinzu kommt, dass ich zahlreiche Geisteswissenschaftler kennengelernt habe, die ohne Berührungsängste digitale Verfahren nutzen, sich aber keineswegs als „Digital Humanist“ bezeichnen oder verstehen würden.

Eine wichtige Frage wird dabei sein, ob die digitalen Methoden über die Geisteswissenschaften hinweg zumindest zu einem hinreichenden Teil so generisch sind, dass die übergreifende Betrachtung wirklich zielführend ist. Wie groß sind da die Überlappungen z. B. zwischen den Philologien und materiellen Kulturwissenschaften? Würden „Digital Humanities“ nicht ohnehin allenfalls ein (recht vager) Oberbegriff sein?

Wie wird die Digitalisierung der Geisteswissenschaften die Informatik verändern?

Ja: die Digitalisierung der Geisteswissenschaften wird die Informatik verändern! Aber nicht mehr und nicht weniger als die Wirtschaftsinformatik, die Bioinformatik …

Natürlich gibt es (viele) spannende Probleme in den Geisteswissenschaften, die die Forschung in der Informatik vor Herausforderungen stellen. Dies unterscheidet sich aber aus meiner Sicht nicht grundsätzlich von anderen Anwendungsgebieten.

Wird es eine neue Bindestrich-Disziplin geben?

Eigentlich müsste man hier weiter differenzieren. Zunächst ist die Frage, wie die beiden verbundenen Disziplinen von der Ausrichtung und vom Gewicht her zueinander stehen. Natürlich kann man Geisteswissenschaftler mit digitalen Methoden in ihrer Arbeit unterstützen (und diesen Fall möchte ich hier adressieren). Eine andere durchaus auch sinnvolle aber komplett andere Betrachtung wäre eine geisteswissenschaftliche (oder z.B. soziologische) Perspektive auf die Informatik, ihr Schaffen und ihre Auswirkungen. Wenn wir also hier einmal von einer Bindestrich-Informatik ausgehen, dann ist die nächste Frage, „wo“ diese anzusiedeln ist. Auf diese Frage gibt es aus meiner Sicht keine richtige oder falsche Antwort. Die Antwort muss vielmehr aus dem Kontext und auf Basis von Überlegungen der Zweckmäßigkeit gegeben werden. Am Beispiel der Wirtschaftsinformatik (WI) kann man sehen, dass es Standorte gibt wo diese als spezielle BWL gesehen wird und andere Standorte, wo die WI in der Informatik liegt. Viel wichtiger als diese Zuordnung erscheint mir, dass diejenigen, die die Bindestrich-Disziplin vertreten, beide Gebiete in der notwendigen Breite und Tiefe verstehen ─ und im Idealfall hierzu noch eine originäre dritte „Säule“, die den Erkenntnisgegenstand und den speziellen methodischen „Werkzeugkasten“ zum Inhalt hat. Hier kann die Wirtschaftsinformatik dann durchaus als Vorbild dienen.

Eine andere Bedeutung bekommt die Zuordnung natürlich bei Studiengängen. Auch hier gibt es aus meiner Sicht keine richtige oder falsche Zuordnung. Wichtig ist, dass die Studiengangsbezeichnungen deutlich machen, ob es sich um einen Studiengang der Angewandten Informatik oder um einen Studiengang der Geisteswissenschaften mit einem Fokus auf digitalen Methoden handelt.

Konsequenzen für die Informatik

Die Informatik sollte aus meiner Sicht aus diesen Überlegungen folgende Konsequenzen ziehen:

  • Man sollte intensiv mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den Geisteswissenschaften kooperieren, die offen für die innovative Nutzung digitaler Verfahren für Ihre Fragestellungen sind – und zwar unabhängig davon, ob sich diese als „digitale Geisteswissenschaftler“ oder schlicht als „Geisteswissenschaftler“ verstehen.
  • Die Informatik muss selbst Stellung beziehen zu Fragen der Digitalisierung der Geisteswissenschaften. Dies reicht von curricularen Empfehlungen bis zu einer Repräsentation in den Fachgliederungen der GI. Es geht dabei nicht darum, mit den Geisteswissenschaften um die Hoheit über das Thema „Digital Humanities“ zu kämpfen. Vielmehr geht es darum, neben den durch den Verband DHd („Digital Humanities im deutschsprachigen Raum“) repräsentierten Blickwinkel einen informatischen Blickwinkel zu setzen – unter anderem, um hier gleichberechtigt in einen Diskurs treten zu können.
  • Schließlich sollte auch darauf hingewirkt werden, dass die informatische Perspektive in den Berufungskommissionen zu den nun vielerorts ausgeschriebenen Professuren im Feld der „Digitl Humanities“ hinreichend (was auch immer dies bedeuten mag) vertreten ist. An dieser Stelle werden aktuell Weichen gestellt, die einzeln und vor allem in Summe ganz entscheidend für die Entwicklung sein werden.