Informatik und Archäologie – Mein verflixtes 13. Jahr

Hubert Mara
FCGL – Forensic Computational Geometry Laboratory
IWR – Interdisciplinary Center for Scientific Computing, Heidelberg University
Im Neuenheimer Feld 368
69120 Heidelberg

Betrachtet man die Vielzahl an digitalen Messverfahren, die in der Archäologie zur Anwendung kommen, gibt es mehr als genügend archäologische Fragestellungen die zur Methodenentwicklung in der Informatik führen. Die Motivation wird besonders durch die Unschärfe der Fragen und die fehlende Grundwahrheit gefördert. Damit wird schnell klar, dass die Archäologie als Partnerdisziplin den gleichen technischen Stellenwert wie die Medizin hat, mit der ich in Industrieprojekten zusammengearbeitet habe. Mit dem Einwerben des ILATO Projekts konnten meine langjährige Kollegin und Mentorin Susanne Krömker und ich zeigen, dass Techniken, die an Keilschrifttafeln und jüdischen Grabsteinen entwickelt wurden auch zur Versuchsplanung in der industriellen Prüftechnik eingesetzt werden können.

Neben den technischen Herausforderungen existieren wesentlich schwerwiegendere Hindernisse im Zusammenfinden von Informatik und geisteswissenschaftlichen Fächern. Das beginnt bereits mit der Wahl des Studiengangs, da viele technikaffine Studienbeginner selten ein Fach der philosophischen Fakultät wählen. Es erschien mir auch ganz natürlich den eigenen Interessen und Fähigkeiten zu folgen und meine Ausbildung zum Ingenieur für Elektrotechnik durch ein Informatikstudium zu ergänzen. Damit kann ich – wie alle anderen Studienabgänger – ein klares Ausbildungsprofil vorweisen. Die klare Ausprägung einer Ausbildung, die wichtig für einen Berufseinstieg ist, ist ein gutes Argument gegen eine weitere Bindestrichinformatik. Letztere existieren zudem nahezu ausschließlich mit einem Bindestrich zu naturwissenschaftlichen Fächern, bei denen Arbeitsprozesse, Denkschemata, Publikationsfrequenz, -länge, -struktur, Projektdauer und mit vielen anderen Aspekten des wissenschaftlichen Alltags kompatibel sind. Insofern besteht die Notwendigkeit für brückenbildende Maßnahmen zu den Geisteswissenschaften.

Diese fehlende Brücke macht mein 13. Jahr verflixt, da ich eine Finanzierung zum Aufbau einer Arbeitsgruppe bekommen habe und mich auf der Suche nach zwei Informatikern mit einem Grundverständis für ein geisteswissenschaftliches Fach (oder umgekehrt) begeben habe. Aus dem vermeintlich naheliegendsten Bereich der Digital Humanities kam zu meiner Überraschung kein einziger Bewerber und auch sonst keinerlei Nachfrage. Mit Archäologen und -innen gab es einige Gespräche, die jedoch immer damit endeten, dass man Angst hat an der Vertiefung in der Informatik zu scheitern, obwohl Grundkenntnisse durch das Nebenfach Informatik bereits vorhanden waren. Aus den wenigen ernsthaften Bewerbungen aus der Informatik konnte ich bis dato ein Stipendium an einen Informatiker vergeben, der keine Scheu vor der exotischen Anwendung in Form von Keilschriftzeichenerkennung hat. Das zweite Stipendium wird vorraussichtlich zum Wintersemester vergeben. Es zeichnet sich mittlerweile ab, dass sich – aus diesem noch laufenden Verfahren – weitere interessante Erfahrungen rund um interdisziplinäre Promotionsvorhaben ergeben werden, die ich gerne zu einem späteren Zeitpunkt diskutieren kann.

In dieser verflixten Situation angekommen, musste ich mir die Frage stellen, wie diese entstanden ist. Den entscheidenden Hinweis auf die Antwort habe ich im Gespräch mit den Kollegen vom CCeH in Köln bekommen: meine Arbeit ist in nahezu gleichen Teilen in Publikationsmedien der Informatik und der Archäologie zu finden. Der Grundstein stammt aus meiner Zeit als Diplomand durch die spannende Hands- On Möglichkeit in der Archäologie mit der Teilnahme an Grabungen in Israel und Peru mit dem 3D- Scanner der TU Wien. Dieser mehrwöchige Blick über die Schulter von Archäologen war der Schlüssel, um formulierbare Fragen zu identifizieren und gezielt Methoden z.B. für die Keramikanalyse aus der Numerischen Geometrie und der Mustererkennung umzusetzen. Einem Bauchgefühl folgend, habe ich diesen Ansatz zu Beginn meines Promotionsprojekts wiederholt und bin für ein halbes Jahr aus dem naturwissenschaftlichen Campus in ein Büro neben der Assyriologie gewechselt, um iterativ die Methodik zur besseren Lesbarkeit von Keilschrifttafeln voranzubringen. Nur in diesem sehr direkten persönlichen Kontakt ist der Brückenschlag zwischen sehr unterschiedlichen Fachgebieten gelungen, um ein digitales Werkzeug für Schrift in 3D zu entwicklen. Der umgekehrte Weg, dass z.B. ein Doktorand aus der Archäologie in einer Arbeitsgruppe der Robotik am IWR promoviert, existiert deutlich häufiger. Dieser Effekt ist wahrscheinlich – aber nicht ausschließlich – den unterschiedlichen Finanzierungslagen zuzuschreiben.

Aus meinen persönlichen Erfahrungen würde ich mir bei den geisteswissenschaftlichen< Einrichtungen offenere Türen beim Zugang zu Objekten und Themen wünschen, um künftigen Informatikern den Zugang zur Kultur und Arbeitsweise der Geisteswissenschaften zu ermöglichen. Von meinen Kollegen in der Informatik erwarte ich mir einen umsichtigeren Umgang mit Versprechungen zu den Möglichkeiten der rechnergestützten Methoden. Im Bezug auf Lehre sehe ich vor allem Bedarf an einzelnen interdisziplinären Lehrveranstaltungen, die während des Studiums Einblicke und Anknüpfungspunkte zu technischen Möglichkeiten bzw. geisteswissenschaftlichen Fragestellungen bieten, um z.B. entsprechende Abschlussarbeiten anfertigen zu können.