Humanist-­Computer Interaction Herausforderungen für die Digital Humanities aus Perspektive der Medieninformatik

Autoren
Manuel Burghardt & Christian Wolff
Lehrstuhl für Medieninformatik

Institut für Information und Medien, Sprache und Kultur (I:IMSK)
Fakultät für Sprach--,Literatur-- und Kulturwissenschaften
Universität Regensburg, 93040 Regensburg
{manuel.burghardt, christian.wolff}@ur.de

Ausgangsargument

Wir gehen von folgendem Ausgangsargument aus: Arbeitstechniken in den Digital Humanities sind geprägt von der Verfügbarkeit und der Nutzung interaktiver Softwarewerkzeuge („Tools“). Aspekte der Usability (Gebrauchstauglichkeit eines Produkts) und der User Experience (gesamtes Nutzererlebnis) spielen eine nicht unwesentliche Rolle für die erfolgreiche und effiziente Einfüh-rung und Etablierung digitaler Arbeitstechniken. Die dazu erforderlichen Entwicklungsmethoden sind bisher allerdings kaum etabliert, ähnlich wie man dies allgemeiner auch für die Methoden des Software Engineering in den Digital Humanities sagen kann. Hinzu kommt, dass viele Arbeitsprozesse in den Digital Humanities zwar werkzeuggestützt ablaufen, aber der intellektuelle Input des Forschers weiterhin von zentraler Bedeutung ist, und gerade bei großen Datenumfängen viele Ressourcen in Anspruch nimmt (z. B. bei der Annotation linguistischer Daten; bei der Erfassung qualitativer Daten; bei der Klassifikation von Beobachtungen; etc.). Dabei können besser benutzbare Werkzeuge zu nicht unerheblichen Skaleneffekten führen, was letztlich auch ein ökonomisches Argument für besser bedienbare Tools liefert.<

Vielfalt der Werkzeuge und deren Defizite im Bereich Usability

Mittlerweile existiert eine schon kaum mehr überschaubare Menge an Tools[1], die belegen, dass digitale Arbeitspraktiken längst in der Welt der Geisteswissenschaften angekommen sind. Dabei fällt auf, dass sehr viele der einschlägigen Tools nur bedingt oder gar nicht auf Aspekte des Interface Design und des Usability Engineering eingehen. Offenkundig sind viele der Applikationen ohne technisches Vorwissen und zumindest grundlegende Kenntnisse in Feldern wie Markup-­Sprachen, Datenbanken und Programmierung kaum zu bedienen. Ein bekanntes Beispiel ist etwa das Python NLTK2[2] , ein umfangreiches Softwarepaket zur Verarbeitung von Sprachdaten, welches aber nur aus der Kommandozeile bedient werden kann, und damit für viele Sprachwissenschaftler eine erhebliche Hürde darstellt. Aus Sicht der Medieninformatik, die sich intensiv mit den Themen HCI (Human-­Computer Interaction) und UX (User Experience) beschäftigt, ist somit ein wesentliches Desideratum an die Digital Humanities, die Berücksichtigung bestehender Usability Engineering-­Praktiken. Dadurch wird die Ein-stiegshürde für technisch weniger versierte Nutzer gesenkt, und die Attraktivität digitaler Tools für die Zielgruppe der Geisteswissenschaftler erhöht.

Zielgruppenorientierte Entwicklung als besonderes Problem

Gleichzeitig scheinen viele bestehende Tools an der tatsächlichen Zielgruppe „vorbeientwickelt“ zu werden (Warwick et al., 2008; Warwick 2012; Gibbs & Owens, 2012): Digital Humanities-­Tools müssen demnach nicht nur allgemeine Best Practices aus dem Bereich der Usability-­Forschung umsetzen, sondern auch auf besondere Charakteristika geisteswissenschaftlicher Anwender eingehen, indem Arbeitstechniken und -­praktiken aus dem nicht-­digitalen Arbeitsalltag möglichst gut im digitalen Interface abgebildet werden. Dazu gehören zum einen die Berücksichtigung von etablierten Metaphern und Workflows, und zum anderen die Erhebung konkreter Anforderungen und Erwartungen der Nutzer an ein entsprechendes Tool.

Konkrete Beispiele aus eigener Arbeit

Am Lehrstuhl für Medieninformatik an der Universität Regensburg finden sich zahlreiche Forschungsprojektesup> [3] , die sich der Frage widmen, wie digitale Tools durch angemessene Interfaces für Geisteswissenschaftler attraktiv und letztlich praktisch nutzbar gemacht werden können. Beispielhaft zu nennen sind hier: • WebNLP (Burghardt et al., 2014): Web-­Interface für die Verwendung von Python NLTK-­Funktionen und Visualisierung mithilfe von Voyant Tools • TWORPUS (Bazo et al., 2013): Tool mit grafischer Benutzeroberfläche zur Erstellung von Tweet-­Korpora • To See or Not to See (Wilhelm et al., 2013): Interaktives Web-­Interface zur Visualisierung quantitativer Aspekte von Shakespeare-­‐Dramen

Pragmatische Sicht auf das Verhältnis von Informatik und Digital Humanities

Das Verhältnis zwischen Geisteswissenschaften und digitalen Methoden aus der Informatik war und ist Gegenstand intensiver Diskussionen (vgl. etwa Ramsay, 2011; Gold, 2012; Berry, 2012), was sich zuletzt auch bei der DHd 2014 in Passau gezeigt hat. Wir plädieren für eine pragmatische Sicht auf das Feld der Digital Humanities, in welcher die Existenz einer Vielzahl bestehender DH-­ Tools bereits als gegeben angesehen werden kann, und für die weitergehende Aspekte der guten Software-­‐‑Entwicklung in den Vordergrund gerückt werden sollten. Pragmatisch auch insofern, als wir nicht davon ausgehen, dass es genau einen idealen Weg für die Synthese informatischer und geisteswissenschaftlicher Methoden gibt.

Plädoyer für das Forschungsfeld Humanist-­‐‑Computer Interaction

Während Gerhard Heyer in seinem Vortrag auf der DHd 2014 bereits das Aufgreifen bestehender Software Engineering-­‐‑Praktiken in den Digital Humanities
thematisierte, so schlagen wir zur Steigerung der Akzeptanz solcher Tools die Berücksichtigung von Erkenntnissen aus dem Bereich des Usability Engineering als besonderen Schwerpunkt vor. Soweit man Usability Engineering als Teilgebiet des Software Engineering versteht, ist dies ein Teilaspekt der allgemeineren Forderung nach besseren Software-­‐‑Entwicklungspraktiken in den Digital Hu-manities. Unter Berücksichtigung der besonderen Nutzergruppe der Geistes-wissenschaftler können diese neuen Anforderungen an die Digital Humanities auch unter dem Begriff der Humanist-­Computer Interaction zusammengefasst werden.

Ausblick

Aus dem hier skizzierten Feld der Humanist-­Computer Interaction ergeben sich weiterhin eine ganze Reihe interessanter Forschungsfragen, nur einige seien als Ausblick genannt: • Wie kann eine Bestandsaufnahme zum Stand der UX-­Qualität von DH-­Tools durchgeführt werden? • Gibt besonders gute / schlechte Tools? • Gibt es „leichtgewichtige“ / „Discount“-­ / „Guerilla“-‑Methoden für die Einführung von UX-­Methoden in den Digital Humanities, die besonders schnellen Erfolg versprechen? • Lässt sich der ökonomische Nutzen, bessere UX-­Qualität im DH-­Bereich, quantifizieren / belegen? Lassen sich Drittmittelgeber dadurch beeindrucken?

Quellen

  • Bazo, Alexander Burghardt, M., & Wolff, C. (2013). TWORPUS – An Easy-­to-­Use Tool for the Creation of Tailored Twitter Corpora. In I. Gurevych, C. Biemann, & T. Zesch (Eds.), Proceedings of the 25th International Conference of the German Society for Computational Linguistics and Language Technology, GSCL ’13 (pp. 23–34). Heidel-­ berg: Springer.
  • Berry, D. M. (2012). Understanding Digital Humanities. Palgrave Macmillan.
  • Burghardt, M., Pörsch, J., Tirlea, B., & Wolff, C. (2014). WebNLP: An Integrated Web-­ Interface for Python NLTK and Voyant. In Proceedings of the 12th KONVENS 2014 (to appear).
  • Gibbs, F., & Owens, T. (2012). Building Better Digital Humanities Tools: Toward broad-­ er audiences and user-­centered designs. Digital Humanities Quarterly (Online Journal), 6(2).
  • Gold, M. K. (2012). Debates in the Digital Humanities. Univ Of Minnesota Press.
  • Ramsay, S. (2011). Reading Machines: Toward an Algorithmic Criticism. Urbana, Chicago. and Springfield: University of Illinois Press.
  • Warwick, C. (2012). Studying users in digital humanities. In C. Warwick, M. Terras, & J. Nyhan (Eds.), Digital Humanities in Practice (pp. 1–21). London: Facet Publishing.
  • Warwick, C., Terras, M., Huntington, P., & Pappa, N. (2008). If You Build It Will They Come? The LAIRAH Study: Quantifying the Use of Online Resources in the Arts and Humanities through Statistical Analysis of User Log Data. Literary and Linguis-­ tic Computing, 23(1), 85–102.
  • Wilhelm, T., Burghardt, M., & Wolff, C. (2013). “To See or Not to See” -­ An Interactive< Tool for the Visualization and Analysis of Shakespeare Plays. In R. Franken-­ Wendelstorf, E. Lindinger, & J. Sieck (Eds.), Kultur und Informatik: Visual Worlds & Interactive Spaces (pp. 175–185). Glückstadt: Verlag Werner Hülsbusch.

  1. [1] Vgl. etwa das Digital Research Tools (DiRT) Wiki für eine umfangreiche Sammlung digitaler Tools für Geisteswissenschaftler: http://dirtdirectory.org/ (letzter Zugriff am 10.8.2014).
  2. [2] Verfügbar unter http://www.nltk.org/ (letzter Zugriff am 10.8.2014).
  3. [3] Ein Überblick zu aktuellen Projekten findet sich auf dem Forschungsblog Digital Humanities Regensburg: http://dhregensburg.wordpress.com/dh-­‐‑projekte/ (letzter Zugriff am 31.8.2014).