Archäo-Informatik und Digital Humanities

In den archäologischen Wissenschaften sind die Anwendungen von informations-technologischen Methoden im Vergleich zu anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen weit verbreitet und seit einigen Jahren Standard im Dokumentationsverfahren der Ausgrabungen. In der Auswertung der Grabungsergebnisse ist deren Einsatz oft durch das Wissen und Können des jeweiligen Anwenders beschränkt. So tritt die Archäologie meist nur als „Sekundärverwerter“ von vielerlei Tools und Methoden auf. Beispielsweise sei hier der konsequente Einsatz von Geografischen Informationssystemen (GIS) in den Fundstellenarchiven genannt, der die Landschaftsarchäologie zu siedlungsarchäologischen Fragestellungen seit den 1990er Jahren in großen Schritten vorwärts brachte und noch immer bringt. Weitere Innovationsschübe wurden durch den Einsatz von 3-D-Technologien erreicht, die ebenso in den archäologischen Fächern nun weit verbreitet sind. Insgesamt hat die Digitalisierung der Archäologie einen Prozess eingeleitet, der nicht mehr umkehrbar erscheint und neben der Forschung auch in der Lehre in spezifischen Lehrveranstaltungen (z.B. zu 3D, GIS, CAD und Datenbanken etc.) seinen Niederschlag findet.

Beschäftigt man sich im Detail mit informationstechnologischen Fragestellungen in der Archäologie, so werden doch vielerlei Defizite offensichtlich, die Großteils in der Sekundärverwertung der Methoden und Tools als Anleihen aus der Informatik ohne fachorientierte Anpassung begründet sind. So sind sie für den „Durchschnitts-Geisteswissenschaftler/Archäologen“ schon anwendbar, aber nur ansatzweise nachvollziehbar, sodass ein direkter Dialog zur Informatik mit „Bug-Feedback“, Verbesserungswünschen oder Methodenentwicklung nur selten erfolgt. Sowohl die Anzahl als auch die Geschwindigkeit der sich dynamisch entwickelnden Forschungen der Angewandten Informatik sind aus geisteswissenschaftlicher Perspektive mittlerweile nur sehr schwer überschaubar. Auch sind die grundlegend divergenten Forschungsansätze der hermeneutischen Archäologie und empirischen Informatik eine beiderseitige Hürde des direkten Wissenstransfers. In vielerlei gemeinsamen Projekten taucht noch immer der Gedanke der „Hilfswissenschaften“ aus der jeweiligen Perspektive auf, wobei nur im seltenen Ausnahmefall Informatik und Geisteswissenschaften gleichberechtigte Partner sind, die für beide Disziplinen innovative Ergebnisse generieren.

Gerade in Bezug dessen ist aber die Stärke eines Bindestrichfachs, wie Archäo-Informatik, begründet: So kann der Dialog und Wissenstransfer hoch effektiv vorangebracht werden; so können echte transdisziplinäre Projekte entwickelt werden, die nicht nur interdisziplinären Charakter (für ein Drittmittelprojekt) haben. Und so kann die Diskrepanz in den Entwicklungsgeschwindigkeiten und den Forschungsansätzen überwunden werden. Innovationsschübe sollten dabei wechselseitig fließen und zwar nicht durch einfache Adaption, sondern durch fachspezifische Entwicklung von Methoden und Anwendungen, die dabei auch neue Felder für die Informatik eröffnen, wie beispielsweise die Quanti- und Qualifizierung von imperfekten, „weichen“, teils nicht gemessenen Datensätzen aus den oft noch „klassisch“ Daten erhebenden Geisteswissenschaften.

Aber wie und wo verortet man ein solches Fach? An der Philosophischen oder Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät? Wie schafft man möglichst zeitnah transdisziplinäre Studien- und Promotionsordnungen, gerade hinsichtlich der Anwerbung von (internationalen) Spitzenkräften? Könnte eine thematisch-fachliche und schwerpunktmäßige Ausrichtung der gerade erst entstehenden Curricula der Digital Humanities als implizites Fach hier ein Lösungsansatz sein? Sollten sich die Digital Humanities primär auf textorientierte Forschungen konzentrieren, wie teils gefordert wird? Oder ist das weit gefächerte Spektrum der Digital Humanities mit sehr heterogenen Datenquellen, aus Text-, Bild-, Ton-, Video- und Messdaten, wie beispielsweise aus der Archäologie, gerade die große Chance für die Entwicklung von anspruchsvollen Forschungsansätzen mit gleichberechtigten Partnern der Informatik und Geisteswissenschaft?

Die Digital Humanities sollten keine Generalisten hervorbringen, um sich deutlich von der oberflächlichen Digital Literacy abzusetzen und der Gefahr der jüngst unterstellten Trivialität entgegen zu wirken. Die Digital- oder Informationskompetenz sollte durch Module an der Informatik und Geisteswissenschaft in einem Grundstudium und einer aufbauenden Phase der thematischen Ausrichtung mit einer Spezifizierung hin zu einer Disziplin erreicht werden, wobei in der fachorientierten Anwendung informatischer Methoden in eher informatiknahen Bereichen der Geisteswissenschaften ein beiderseitig ergiebiger Wissenstransfer begründet zu sein scheint. Im Fall der Archäo-Informatik stellt z.Z. die Entwicklung von spezifischen Archäologischen Informationssystemen (AIS) mit der Implementierung von heterogenen Daten eine große Herausforderung dar, die nicht einfach durch die Anpassung von GIS zu lösen ist, da z.B. neben den raumbezogenen Daten auch nichtraumbezogene Daten, wie zur Kultur, Fundumständen usw., ein großes Gewicht aufweisen. In der kollaborativen Methodenentwicklung, u.a. zur Standardisierung imperfekter Datensätze der Angewandten Informatik bzw. Geo-Informatik mit der Archäologie, können grundlegend neue Forschungsansätze entstehen, die deutlich über noch immer bestehende Forschungsgrenzen einzelner Disziplinen mit eigenen nichtinteroperablen Datenstandards und Methoden hinausgehen.

Dr. Armin Volkmann
Junior Research Group Leader "Digital Humanities/Digital Cultural heritage"
Cluster of Excellence "Asia and Europe in a Global Context"
Heidelberg University
Karl Jaspers Centre
Voßstr. 2, Gebäude 4400
69115 Heidelberg
Tel. +49 (0)6221 54 4310
http://www.asia-europe.uni-heidelberg.de/en/research/jrg/jrg-digital-hum... http://archdigi.hypotheses.org/