Blicke auf das Digitalisat in der Sammlungserschließung

Lena Bonsiepen, Wolfgang Coy

Ein zentrales Thema zwischen Informatik und den geistes- und kulturwissenschaftlichen Anwendungen ist die Interpretation des Digitalisats. Mit dem Prozess der Digitalisierung mithilfe geeigneter Sensor- und Messtechnik wird entlang einer gemeinsam zu entwickelnden Modellvorstellung eine digitale Beschreibung der zu untersuchenden Objekte und Kontexte konstruiert. Diese muss einerseits den technischen Verwertungsmöglichkeiten entsprechen und zum andern eine handhabbare Struktur für die Nutzung in den Anwendungen bieten.

Anforderungen an das Digitalisat sind je nach Ausgangslage und Perspektive unterschiedlich. Aus der Sicht der Informatik ist es von zentraler Bedeutung, dass die Formalisierung den Ansprüchen an eine programmierbare Vorgehensweise, an eine hinreichend präzise Differenzierung der Messwerte, an eine angemessene Speicherung und eine langfristige Organisation der Archivierung und Bewahrung erfüllt werden. Aus der Anwendersicht werden diese technischen Fragen eher als irgendwie zu realisierende Randbedingungen gesehen; hier spielt die vielfältige Beschreibungsmöglichkeit und eine im Fortgang der Arbeit bei Bedarf revidierbare Anpassung an die inhaltlichen Fragestellungen eine wesentlich größere Rolle.

Mit der Vielzahl unterschiedlicher Sensoren hat sich das Feld des Digitalisierbaren enorm erweitert. War am Anfang die Lochkarte und der Papierausdruck das Kommunikationsmittel der Wahl für die frühe Rechentechnik, sind heute Bildaufnahme, Tonaufnahme oder Video selbstverständlicher Elemente der Digitalisierung geworden. Dies schließt längst weitere Messtechnik, etwa der Materialforschung mit UV und Infrarot, Röntgenstrahlung oder Ultraschall ein. Neben der zweidimensionalen Bildverarbeitung und der Verarbeitung von Bildfolgen werden nun auch dreidimensionale Aufnahme, Speicherung und Bearbeitungstechniken rechnergestützt integriert. Im Rahmen der Erschließung einer Gemäldesammlung werden diese unterschiedlichen Ansätze der Materialwissenschaft und Informatik mit den Fragen der Kunst- und Bildwissenschaft zusammengeführt.

Digitalisierung bleibt nicht bei der Objektbeschreibung stehen. Die Integration von Digitalisaten in den realen Kontext von Räumen, Gebäuden und mobilen Umgebungen bildet eine neue Herausforderung für das Verhältnis von realem zu virtuellem Raum. Ebenso können Arbeitsvorgänge und weitere Prozesse digital abgebildet und unterstützt werden. Im informatischen Kern stehen dabei Modellierung und digitale Simulation, die mit diesen Datenströmen virtuelle Systeme und Räume aufbauen. Dazu werden Sensor- und Aktortechniken an Digitalspeicher, Rechner und Rechnernetze programmiert angebunden.

Die Erstellung, die Verwaltung und der Umgang mit Digitalisaten und virtuellen Räumen formt die Arbeits- und Lebenswelten des 21. Jahrhunderts. Unser alltägliches, kulturelles und gesellschaftliches Verständnis unserer Umwelt wird damit grundsätzlich in Frage gestellt und herausgefordert. Stichworte wie „vernetzter Wissenschaftlerarbeitsplatz“, „Digital Humanities“ oder „Industrie 4.0“ benennen Aspekte dieser Veränderung, die in ihrer Gesamtheit freilich weit über die einzelnen Sichten hinausgehen.

Wir können die genannten Aspekte aus unserer Praxis der Erschließung einer Gemälde- und Objektsammlung in Zusammenarbeit mit der Kunstbibliothek Berlin belegen und genauer erläutern.

Berlin, 4.9.2014
Lena Bonsiepen
Wolfgang Coy
Exzellenzcluster „Bild-Wissen-Gestaltung“
der Humboldt-Universität zu Berlin
Unter den Linden 6
10099 Berlin
http://www.bwg.hu-berlin.de
lena.bonsiepen@hu-berlin.de
coy@hu-berlin.de