Informatik – technischer Hilfsdienst der Digital Humanities?

Dr.-Ing. Michael Piotrowski

 

Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Mainz 31. August 2014

Im Positionspapier »Was ist Informatik?« der GI (GI 2006, S. 16) heißt es: Nicht nur die Bedeutung der Informatik als Wissenschaft, auch ihre Rolle als Innovationsfaktor für andere wissenschaftliche Disziplinen ist inzwischen sprichwörtlich. Neben der Mathematik hat sich die Informatik in den letzten Jahrzehnten als weitere Querschnittswissenschaft etabliert. Durch Softwarewerkzeuge und Systeme, die höchst komplexe Berechnungen und Simulationen erlauben, wirkt die Informatik besonders nachhaltig und führt zu neuen Erkenntnissen und Methoden bis hin zu eigenen Teildisziplinen.

Handelt es sich bei den Digital Humanities um eine solche Teildisziplin? In den Geisteswissenschaften – und den Feuilletons – wird heftig über die Digita Humanities diskutiert: sind sie die Zukunft der Geisteswissenschaften oder vielmehr der »Ausverkauf« an die Informatik? Auch wenn mit der Gründung des DHd-Verbandes ein weitere Schritt in Richtung der Etablierung und Institutionalisierung der DH in Deutschland getan wurde, ist auch innerhalb den DH noch längst nicht klar, was die DH genau sind. Eine Frage, die dabei immer wieder aufkommt ist eben auch die, ob die DH eine eigene Disziplin in den Geisteswissenschaften sind.

In der Informatik – die ja quasi die andere Hälfte der DH darstellt – hat es bislang keine derartigen Diskussionen gegeben. Dies liegt sicher auch an einem Kulturunterschied: Auch wenn die Informatik durchaus zur Selbstreflexion fähig ist, muss sie sich nicht ständig ihrer Identität versichern. Es gibt daher auch keine Berührungsängste mit neuen Anwendungsgebieten. Ebenso wenig müssen sich innerhalb der Informatik verschiedene Forschungsgebiete zwingend voneinander abgrenzen – niemand würde etwa fordern, dass »Datenbanken « ein eigener Studiengang sein sollte. Und selbst wenn sich ein Feld – wie etwa die Computerlinguistik – (teilweise) institutionell verselbständigt hat, so ist das auch kein Problem: Computerlinguisten und Informatiker, die sich mit Sprachverarbeitung beschäftigen, treffen sich auf den gleichen Konferenzen. Insofern sind die Diskussionen in den Geisteswissenschaften aus Sicht der Informatik oft schwer nachvollziehbar.

Dennoch sollte sich die Informatik damit beschäftigen, und zwar sowohl aus wissenschaftlichen als auch aus wissenschaftspolitischen Gründen. Im eingangs erwähnten GI-Positionspapier heißt es weiter: Die Informatik spielt in anderen Wissenschaften zunächst häufig die Rolle einer Basistechnologie, mit der sich große Mengen von Informationen besser strukturieren, verarbeiten und aufbereiten lassen. Aber nahezu immer führt dieser Einsatz von Informatik zu eigenen Modellbildungen in den Anwendungsgebieten, so dass sich sehr schnell neue Fragestellungen, aber auch neue Erkenntnisse ergeben. Dadurch entstehen bisher nicht mögliche virtuelle Experimente, umfangreichere Analysen und neuartige Verfahren und Methoden der Untersuchung und Entwicklung. Eindrucksvolle Beispiele hierfür finden sich in der Biologie, Medizin, Chemie und Pharmazie, Meteorologie, Weltraumforschung und Astronomie, aber auch in den Künsten, der Architektur und den Wirtschaftswissenschaften. (GI 2006, S. 16)

Im Augenblick befinden sich die Geisteswissenschaften bzw. die DH weitgehend noch in dem Stadium, in dem die Informatik die Rolle einer »Basistechnologie « spielt. Meist werden in DH-Projekte selektiv einzelne Informatikwerkzeuge oder -methoden genutzt, etwa Datenbanksysteme, Visualisierungsverfahren oder Parser. Bei einer Definition der DH allein durch die Geisteswissenschaften besteht die Gefahr, dass die Informatik in dieser Rolle verharrt. Wenn sich das Feld jedoch weiterentwickelt – wie das auch bei den im Zitat genannten Fächern passiert ist –, wird die Übernahme fixfertiger Lösungen aus der Informatik nicht mehr reichen. Die Abkopplung von< der Informatik kann dann dazu führen, dass in den DH aktuelle Forschungsergebnisse aus der Informatik nicht mehr wahrgenommen werden, das Rad neu erfunden und auf Synergien verzichtet wird – zum Schaden aller.

Ein weiteres mögliches Problem stellt sich im Bereich der Forschungsförderung. Wie z. B. die BMBF-Ausschreibungen zeigen, hat die Politik die Bedeutung der DH erkannt. Wenn aber die Geisteswissenschaften alleine definieren, was die DH sind und sich dabei – auch ungewollt – der Eindruck festsetzt, die Informatik werde nur für Programmieraufgaben benötigt, fehlt am Ende das Geld für genau die Informatikforschung, die eigentlich notwendig wäre, um die DH-Projekte realisieren zu können.

Schließlich entstehen in Deutschland jetzt explizit als »Digital Humanities« deklarierte Studiengänge. Auch hier sollte sich die Informatik einbringen, um beispielsweise zu vermeiden, dass sich der Informatikanteil solcher Studiengänge allein aufs »Programmieren« beschränkt, was letztlich aber nicht ausreichen wird.

Im Feuilleton der FAZ konnte man vor einiger Zeit staunend lesen: Das Quellgebiet der digitalen Geisteswissenschaften sind Computerlinguistik, Computerphilologie und die Fachinformatiken. Man kann in ihnen so etwas wie den technischen Hilfsdienst der Geisteswissenschaften sehen, dem bisher die wissenschaftliche Anerkennung ihrer Leistungen und das Verständnis und die Rückendeckung ihrer Fächer versagt blieb. (Thiel 2012)

Wenn die Informatik nicht nur als »technischer Hilfsdienst« verstanden werden will, sondern auch selbst Gewinn aus der Zusammenarbeit mit den Geisteswissenschaften ziehen will, dann darf sie die Deutungshoheit nicht allein den Geisteswissenschaftern überlassen. Daher ist es meines Erachtens notwendig, dass die Informatik – z. B. über ihre Fachgesellschaften – das Feld »Informatik in den Geisteswissenschaften« selbst besetzt. Anzumerken wäre< hier noch, dass in der Computerlinguistik die GSCL seit 2013 einen Arbeitskreis »Digital Humanities« hat und die ACL bereits seit 2012 die SIGHUM.

 

Literatur