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Eine Betrachtung aus dem Blickwinkel der Visualisierungsforschung
Autor: Dr. Steffen Koch, Institut für Visualisierung und Interaktive Systeme, Universität Stuttgart
Visualisierungsforschung im Kontext dieses Abstracts sehe ich als eine anwendungsorientierte Informatikdisziplin. Sie ist per se interdisziplinär und zielt darauf ab, Daten die in anderen wissenschaftlichen Disziplinen bzw. Anwendungsgebieten anfallen, aufzubereiten und in geeigneter Form, meist aggregiert, darzustellen. Dabei dient Visualisierung nicht mehr ausschließlich der Präsentation von Ergebnissen, sondern wird zunehmend ein interaktives Instrument zur Exploration und zur Steuerung von zielgerichteten Analysen durch die Benutzer.
Die Geistes- und Sozialwissenschaften haben den Nutzen von Visualisierung bereits seit einiger Zeit für sich entdeckt, wobei Visualisierung hier sicherlich näher in ihrem ursprünglichen Wortsinn verstanden und damit deutlich breiter definiert wird, als das in der gleichnamigen Informatikdisziplin mittlerweile der Fall ist. Während unter letzterer primär eine datengetriebene, algorithmisch generierte Form von Visualisierung verstanden wird, schließt diese allgemeinere Betrachtung auch statische, manuell erzeugte Formen mit ein.
Aus den Erfahrungen der letzten Jahre, den bereits mit Visualisierungsunterstützung erzielten Erfolgen in den Digital Humanities, sowie dem weiterhin ungebrochenen Interesse, das der Visualisierungsforschung von Seiten der Geistes- und Sozialwissenschaften zu Teil wird, steht aus meiner Sicht die zukünftige Fortführung solcher Zusammenarbeiten nicht in Frage. Dies schließt insbesondere die Nutzung von Visualisierung als Teil hermeneutischer Betrachtungen mit ein, denn Visualisierung ist bereits jetzt ein wichtiges Bindeglied zwischen automatischer Datenaufbereitung und der menschlichen Wahrnehmung und damit dem Verstehen und der Interpretation solcher automatischer Verfahren. Allerdings erfordert auch der richtige und sinnvolle Einsatz von Visualisierung einen gewissen Kenntnisstand des Interpretierenden oder eine Art von „visueller Belesenheit“, wenn man so möchte. Sonst kann es leicht passieren, dass z.B. visuellen Artefakten, die einer automatischen Bearbeitung entstammen, Bedeutungen beigemessen werden, die gar nicht vorhanden sein können.
Dennoch gestaltet sich die Zusammenarbeit in Projekten, an denen Geisteswissenschaftler und Informatiker beteiligt sind, oft schwieriger als dies in anderen interdisziplinären Projekten der Fall ist. Mit Sicherheit gibt es zunächst eine Kommunikationsbarriere, die es generell in interdisziplinären Projekten gemeinsam zu überwinden gilt. Das ist in Kooperationen zwischen beispielsweise Naturwissenschaftlern und Informatikern nicht sehr anders. Und doch scheinen die Barrieren höher zu sein, was sicherlich nicht zuletzt in den „wissenschaftskulturellen“ Unterschieden liegt.
Ein aus meiner Sicht großes Problem stellt der Mangel an informatischem Grundinstrumentarium und –wissen seitens der Geisteswissenschaften dar. Das ist natürlich eine starke Verallgemeinerung und für ganze Fachgebiete, die schon lange mit Rechnerunterstützung forschen, wie z.B. die Sozial- und Politikwissenschaften, unzutreffend. Dennoch scheint es in vielen anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen diese Grundausstattung nicht zu geben. Selbstverständlich gilt das auch umgekehrt für das Vorhandensein von geisteswissenschaftlichem Grundwissen und dem Verständnis von geisteswissenschaftlichen Forschungsfragestellungen. Ablehnung, wie C.P. Snow sie beschrieben hat, gibt es sicherlich heutzutage auch, aber insgesamt scheint mir doch das Interesse und der ernstgemeinte Wille zur Kooperation in Geisteswissenschaft und Informatik zu überwiegen.
Vergleicht man interdisziplinäre Kooperation, wie z.B. zwischen Naturwissenschaftlern und Visualisierern, so stellt sich üblicherweise die Situation so dar, dass eine Visualisierungslösung gesucht wird, die über das hinausgeht, was die jeweilige Fachdisziplin mit ihren vorhandenen Standardvisualisierungswerkzeugen erreichen kann. Daraus ergibt sich geradezu ein Projektziel, das über den Stand der Technik hinausgeht und damit schon fast automatisch einen forschungsrelevanten Fortschritt beinhaltet, der auch publizierbar und damit, wie heutzutage in vielen Informatikfächern üblich, als anerkannte Forschungsleistung bewertbar ist.
Dies ist in Digtital Humanities Projekten nach meiner Erfahrung nicht immer einfach möglich. Hier besteht häufig die Situation, dass aus Sicht der Geisteswissenschaften zunächst Probleme gelöst werden müssen, die aus Informatikperspektive keinen oder nur sehr geringen Forschungsbezug haben. Es steht außer Frage, dass durch die Bereitstellung oder Anpassung vorhandener oder naheliegender Lösungen ein DH-Fortschritt erzielt wird und Ergebnisse in dieser Community publiziert werden können, aber die Frage ist, ob beispielsweise ein Umsetzer aus der Informatik damit einen überzeugenden Beitrag zu seiner Informatik-Dissertation leisten kann.
Andererseits beschäftigen sich die Geisteswissenschaften, wie im Call-For-Papers für diesen Workshop treffend bemerkt, oft mit schwer zu formalisierenden und mit den gegenwärtigen in der Informatik entwickelbaren Ansätzen möglicherweise schwer oder gar nicht lösbaren Problemen. Berücksichtigt man all diese Aspekte, dann ergibt sich zwar ein enormer Bedarf an Informationstechnologischen Lösungen in den Digital Humanities, aber nur ein relativ schmaler Bereich, in dem eine Win-win-Situation hinsichtlich der Forschung möglich ist, ohne dass entweder die geisteswissenschaftliche Fragestellung zu stark simplifiziert werden muss oder der Informatikbeitrag nicht über den aktuellen Stand der Technik hinaus geht.
Mein Austausch mit Informatikern aus den Bereichen der maschinellen Sprachverarbeitung, des Data Mining, der Datenbankforschung und anderen Informatikdisziplinen, sowie mit Geistes- und Sozialwissenschaftlern, die in die entsprechenden Digital Humanities Projekte involviert sind oder an zukünftigen Kooperationen Interesse zeigen, legt nahe, dass die zuvor geschilderten Beobachtungen kein Einzelfall sind.
Aus meiner Perspektive spricht daher Vieles dafür, dass tatsächlich neue dedizierte Studiengänge mit Fokus auf Digital Humanities geschaffen werden müssen, die eine Ausbildung in beiden „Kulturen“ mit wählbaren Schwerpunkten ermöglichen. Dies würde mittelfristig nicht nur zu einer höheren Verfügbarkeit von Software zur Lösung von gewissen Standardproblemen on den DH führen, sondern auch eine Anpassung der als Forschungsleistung anerkannten Publikationen/Publikationsweisen ermöglichen.