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Auf dem Weg zu einer engeren Verzahnung von Informatik und Geisteswissenschaften
Caroline Sporleder, Ralph Bergmann, Thomas Burch, Stephan Diehl,
Vera Hildenbrandt, Claudine Moulin, Ingo J. Timm
Universität Trier
In den letzten Jahren hat das Interesse an der Verarbeitung geisteswissenschaftlicher
Daten in den informatiknahen Fächern mehr und mehr zugenommen. So hat zum
Beispiel die Computerlinguistik in den Geisteswissenschaften eine reiche Datenquelle
für die Anwendung und Weiterentwicklung robuster Sprachverarbeitungsalgorithmen
entdeckt. Geisteswissenschaftliche Daten sind gerade deshalb für die Computerlinguistik
interessant, weil sie oft Eigenschaften haben, die sie “schwieriger” machen als
die gängigen Benchmark-Datensets, die meist aus modernen, born-digital und umsichtig
editierten Zeitungstexten bestehen. Aus der Hinwendung zu neuen geisteswissenschaftlichen
Daten ergeben sich daher völlig neue Forschungsfragen für die Computerlinguistik,
z.B. hinsichtlich der Verarbeitung älterer Texte mit uneinheitlicher Orthographie
und abweichender Grammatik. Genauso gibt es in den nicht-sprachverarbeitenden
Bereichen der Informatik zahlreiche Aufgabenbereiche an der Schnittstelle zu den Geisteswissenschaften,
die die Entwicklung völlig neuer Verfahren oder zumindest eine
Weiterentwicklung bestehender Methoden verlangen, z.B. spezielle Bildverarbeitungsverfahren
zur Rekonstruktion antiker Fundstücke. Auf der anderen Seite existieren
unzweifelhaft auch wichtige Digital-Humanities-Projekte, in denen der informatische
Aspekt nur die Anwendung, Implementierung und gegebenenfalls leichte Adaption bestehender
Techniken betrifft, wie es u.a. bei vielen Digitalisierungsprojekten der Fall
ist.
Langfristig wirklich vielversprechend und für die Informatikwissenschaften interessant
ist die Zusammenarbeit mit den Geisteswissenschaften aber nur dann, wenn sich
neben den geisteswissenschaftlichen auch innovative informatikwissenschaftliche Forschungsfragen
ergeben. Nur in einem solchen Rahmen ist es möglich, genuin informatikwissenschaftliche
Forschung zu betreiben und entsprechende Doktorandenstellen zu
schaffen. Projekte mit einem hohen Innovationspotenzial in beiden Bereichen stellen
die Beteiligten jedoch vor eine Reihe von Herausforderungen. Neben der sehr zentralen
Frage, wie der –in der Regel– hermeneutische Forschungsprozess in den Geisteswissenschaften
durch informatikwissenschaftliche Techniken unterstützt werden kann,
ergeben sich auch eine Reihe von ganz praktischen Problemen:
Asynchronizität In einem typischen DH-Projekt mit Innovationspotenzial in beiden
Bereichen ist es oft schwierig geistes- und informatikwissenschaftliche Forschung vollkommen
synchron zu betreiben. Die beteiligten Geisteswissenschaftler sind für ihre
Forschung typischerweise auf Software angewiesen, die im Projektrahmen noch entwickelt
werden muss. Diese Software ist aber das Ergebnis der Beantwortung einer
informatikwissenschaftlichen Forschungsfrage, steht also aus informatikwissenschaft-
licher Sicht am Projektende. Dieses Problem kann durch iterative Prototypenentwicklung
und -anwendung teilweise entschärft werden. Ein ähnliches, gegenläufiges Problem
ergibt sich, wenn Informatikwissenschaftler für ihre Forschung auf geisteswissenschaftliche
Daten angewiesen sind, die im Projektrahmen zuerst noch erschlossen
bzw. aufbereitet werden müssen.
Unterschiedliche Publikationsanforderungen Die Publikationsanforderungen in beiden
Bereichen unterscheiden sich zum Teil deutlich (Zeitpunkt, Publikationsform, Anzahl
der Autoren, Reihenfolge der Autoren). Gemeinsame Publikationen bieten daher
ein gewisses Konfliktpotenzial, wenn nicht spätestens zu Beginn des Projekts konkrete
Absprachen getroffen werden.
Quantifizierbarkeit und Erfolgskriterien Geisteswissenschaftliche Forschung ist
oft eher qualitativ geprägt, während informatikwissenschaftliche Forschung meist quantitativ
ist. Geisteswissenschaftler können daher zum einen quantitative, probabilistische
Ergebnisse manchmal nicht korrekt einordnen. Zum anderen sind manche Ergebnisse,
die von einem informatikwissenschaftlichen, quantitativen Blickpunkt aus akzeptabel
sind, vom geisteswissenschaftlichen Standpunkt aus ungenügend (z.B. Fehlertoleranzen).
An der Universität Trier verfolgen wir seit langem eine enge Verzahnung von Informatik-
und Geisteswissenschaften in Forschung und Lehre mit dem Ziel, Fragestellungen
mit Innovationspotenzial für beide Bereiche zu identifizieren und darüber hinaus
durch eine enge Zusammenarbeit das gegenseitige Verständnis zu vergrößern und die
oben genannten Problemfelder zu vermeiden. In der Lehre bieten die Fächer Informatik
und Computerlinguistik & Digital Humanities zusammen mit dem Trier Center
for Digital Humanities einen gemeinsam entwickelten Masterstudiengang “Digital
Humanities” an, der informatikwissenschaftliche Kompetenzen gleichberechtigt neben
geisteswissenschaftliche und solche im Kernbereich der Digital Humanities stellt. Neben
gemeinsam betreuten Abschlussarbeiten haben wir auch ein (universitätsinternes)
Austauschprogramm etabliert, das es Nachwuchswissenschaftlern aus den Informatikwissenschaften
ermöglicht, an DH-Forschungsprojekten mitzuarbeiten. Im Bereich
der Forschung liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung innovativer und generischmodular
anwendbarer Konzepte, Methoden undWerkzeuge. Dies umfasst nicht nur bereits
gut erprobte, eher statische Verfahren der Ergebnisvisualisierung, sondern betont
vor allem den prozessualen Charakter von Datenauswertung, Deutung und Ergebnisfindung
sowie den interaktiven Datenzugang durch Simulation.