Digitales Publizieren in den Geisteswissenschaften: Empfehlungen der AG Digitales Publizieren des Verbandes Digital Humanities im deutschsprachigen Raum

Stand: 16. September 2016

Für die Geisteswissenschaften relevante digitale Publikationen weisen eine Reihe von Merkmalen auf, die medien- und nutzungsbedingt sind und daher anderer Regulierungsmechanismen bedürfen als Printpublikationen. Der folgende Überblick und die daraus abgeleiteten Empfehlungen konzentrieren sich vorrangig auf diese Besonderheiten, aus Platzgründen werden die (zahlreichen) Parallelen zwischen beiden Modellen ausgespart.[1]

Was sind digitale Publikationen?

Digitale Publikationen beziehen sich sowohl auf Primär- als auch Sekundärdaten. Sie schließen damit digitale Texte in traditionellen Formen ein (Monographien, Aufsätze, Rezensionen, Editionen, Kommentare), aber auch Visualisierungen, Bilder, multimediale Inhalte. Einzubeziehen sind ferner Tools, Software und Algorithmen, der gesamte Bereich der Wissenschaftskommunikation in sozialen Medien (Blogposts) sowie strukturierte oder semistrukturierte Datenobjekte wie z.B. Datenbanken oder mit Markup ausgezeichnete Volltexte. Insgesamt handelt es sich in einem allgemeinen Sinne um „Texte“, die nicht nur menschen- sondern auch maschinenlesbar sein müssen. Dabei ist grundsätzlich zwischen digitalen Ausgabeformaten (z.B. HTML, PDF) und digitalen Archivierungsformaten (z.B. XML) zu unterscheiden, wobei das Archivierungsformat für die Vernetzung und Langzeitverfügbarkeit der jeweiligen Veröffentlichung ausschlaggebend ist.

Digitale Publikationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie grundsätzlich angereichert, ergänzt, korrigiert werden können; diese Veränderbarkeit macht digitale Publikationen zu Prozesspublikationen. Dies bedeutet erstens, dass die Versionierung (im Archivierungsformat) ein zentrales Element im Gesamtprozess ihrer Entstehung und Auswertung ist. Zweitens müssen Zitierkonventionen an diese Versionierbarkeit angepasst werden. Schließlich muss die Langzeitverfügbarkeit mindestens der letzten Version, wenn nicht des Gesamtarchivs der Datenproduktion, ein zentrales Anliegen insbesondere bei der Qualitätssicherung sein.

Mehr dazu: http://dhd-wp.hab.de/?q=ag-text#abschnitt1

Digitale Autorschaft

Aus der Prozessualität des digitalen Publizierens folgt eine stärkere Dynamik und ein kollaborativer Charakter der digitalen Autorschaft. Verschiedene Autorschafts- und Beiträgerrollen können zu verschiedenen Zeitpunkten der Produktion, Distribution oder produktiven Nutzung einer digitalen Publikation ausgewiesen werden. Zu den möglichen nennenswerten Rollen einer digitalen wissenschaftlichen Autorschaft gehören unter anderem Herausgeber/in, Kurator/in, Programmierer/in, Datendesigner/in, Kodierer/in, Datenanalyst/in, Hauptautor/in, Nebenautor/in, Interviewer/in, Archivar/in, Annotator/in, Lektor/in, Kommentator/in, Redakteur/in. Die korrekte Abbildung dieser Rollen ist genauso wie für die Versionierung technisch möglich und wird daher empfohlen. Dies verlangt aber ein Umdenken in der geisteswissenschaftlichen Kultur, dazu ist ein bewusster Umgang mit kollaborativen Autor- und Beiträgerschaften unerlässlich, bei dem die jeweiligen Rollen differenziert, klar und nachhaltig zugewiesen werden. Zur Stärkung einer solchen Transparenz und der damit zusammenhängenden Anerkennung aller an einer Publikation Beteiligten wird empfohlen, Forschungsergebnisse zusammen mit Forschungsdaten zu publizieren, wodurch darüber hinaus die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse gewährleistet und die Kontrolle ihrer wissenschaftlichen Qualität ermöglicht wird. Die Verwendung offener Formate und Standards als Archivierungsformate für Daten und Metadaten wird befürwortet,[2] denn nur so kann die Vernetzung und Sichtbarkeit der Publikationen gewährleistet werden.

Mehr dazu: http://dhd-wp.hab.de/?q=ag-text#abschnitt2

Evaluation und Auswahlverfahren

Peer Review hat sich derzeit im wissenschaftlichen Publikationswesen als das zuverlässigste Evaluationsverfahren etabliert, wobei unterschiedliche Formen Anwendung finden (single blind, double blind, triple blind, open peer review). Bei digitalen Publikationen sind aber nicht nur Pre-Publikationsreviews, sondern auch Post-Publikationsauswahlverfahren einsetzbar. Erstere ermöglichen es im digitalen Raum, den Begutachtungsprozess als Teil des Werkes neu zu denken, letztere setzen vermehrt auf die Autonomie des Werks und eine offene, nachgeordnete Kritikkultur. Die operativen Optionen im Evaluationsverfahren bieten einen großen Gestaltungsraum, den es im jeweiligen Einzelfall zu prüfen und für den jeweiligen Einsatz abzuwägen gilt. In digitalen Umgebungen kann diese binnendifferenziert an das Profil und die Bedingungen der spezifischen Form der Publikation angepasst werden. Der DHd-Verband empfiehlt solche Verfahren umzusetzen, die einer Liberalisierung von Wissens- und Wissenschaftsdiskursen Rechnung tragen, insbesondere solche, die eine Transparenz von Ideen fördern.

Mehr dazu: http://dhd-wp.hab.de/?q=ag-text#abschnitt3

Fragen des Zugangs zu und der Zitation von digitalen Publikationen

Der DHd-Verband fördert „den freien Zugang und die freie Nutzung von Wissensbeständen und Verfahren (Open Access, Open Source)“. Dies wird insbesondere durch die Nutzung von Standards erleichtert, die von den o.g. Formaten bis hin zu Persistent Identifiers und Digital Object Identifiers gehen.[3]

Der Einsatz dieser der Nachvollziehbarkeit und Nachnutzbarkeit der Ressourcen dienenden Mechanismen ist im Wesentlichen durch das Zugangsmodell bedingt, das jeweils verwendet wird. Open Access kann dabei unterschiedlich dekliniert werden (goldener Weg, grüner Weg, u.U. grauer Weg). Im Sinne der Verbandssatzung wird Wissenschaftler/innen empfohlen, ihre Werke mit möglichst offenen Lizenzen zu versehen, die sowohl einen freien Zugang gestatten als auch Nachnutzungsrechte einräumen. Autor/innen werden ermutigt, von ihrem Zweitveröffentlichungsrecht Gebrauch zu machen und ggf. Vertragszusätze in diesem Sinne zu verhandeln. Wissenschaftler/innen sollen die Gelegenheit nutzen, sich über die Lizenzierungsformen zu informieren, die Ihnen zur Verfügung stehen. Nicht nur als Produzent/innen von digitalen Publikationen, sondern auch als deren Nutzer/innen, empfiehlt der Verband, von der Nachnutzung von Inhalten Gebrauch zu machen, die mit einschlägigen Open-Content-Lizenzen versehen sind.

Mehr dazu: http://dhd-wp.hab.de/?q=ag-text#abschnitt4

sowie: http://dhd-wp.hab.de/?q=content/5-open-access-publizieren

Der Verband Digital Humanities im deutschsprachigen Raum bedauert  die Reputationkluft, die immer noch digitale und Printpublikationen in den Geisteswissenschaften voneinander trennt. Nicht nur Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, sondern auch Entscheidungsträger, Infrastrukturen und Drittmittelgeber sollen mit diesen Empfehlungen dazu animiert werden, die hier aufgeführten Standards, die der Qualitätssicherung digitaler Publikationen dienen sollen, zu berücksichtigen und ihre Evaluationsverfahren daran auszurichten.

 
 

[1]          Insbesondere XML (Schemata wie TEI, MEI, etc.) für strukturierte Volltexte; METS, EAD, LIDO für Metadaten; RDF für semantische Daten; REST, SPARQL für Schnittstellen oder Abfragemöglichkeiten.

[2]          Dieses Dokument basiert auf den Arbeiten der AG Digitale Publikationen des DHd-Verbandes. Die vollständige Version ist unter: http://diglib.hab.de/ejournals/ed000008/startx.htm (PURL) aufrufbar; die einzelnen, einschlägigen Abschnitte werden im Verlaufe des vorliegenden Dokuments verlinkt. 

[3]          Oder beispielsweise die Zitier-ISO-Norm 690:2010.